Wohin mit „Bruder“ Hahn? – Hähnchenfleisch und Ei zusammen denken

Stand: 12/06/2019
Es ist ein offenes Geheimnis: In der modernen Legehennen-Haltung ist es üblich, dass die männlichen Küken kurz nach dem Schlüpfen als sogenannte „Eintagsküken“ mit Kohlendioxid getötet und geschreddert werden, weil ihre Aufzucht unwirtschaftlich ist.
Unwirtschaftlich deshalb, weil die Legehennenrassen auf hohe Legeleistung gezüchtet sind und viel weniger Muskelfleisch ansetzen als das Masthähnchen einer Fleischrasse. Die Aufzucht der Hähnchen von Legehennenrassen würde etwa dreimal so lange dauern als in der üblichen Hähnchenmast und das Fleisch von diesen Tieren wird wegen seiner schlechteren Qualität nicht nachgefragt. Sie „durchzufüttern“ wäre teurer als ihr späterer Wert. Ethik zieht somit gegen Ökonomie den Kürzeren – und das bei jeder Haltungsform, egal ob Bio-, Boden- oder Freilandhaltung.


Wie geht der Gesetzgeber damit um?

In Deutschland gab es 2019 etwa 42 Millionen Legehennen. Wenn sich bei schlüpfenden Küken statistisch gesehen der Anteil von weiblichen und männlichen Tieren die Waage hält, so werden demnach auch durchschnittlich 42 Millionen Küken systematisch getötet. Das Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung (BMEL) rechnet jährlich sogar mit 45 Millionen getöteten männlichen Küken.
Noch im Mai 2016 wurde in einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts in Münster beschieden, dass diese gängige Praxis mit dem Tierschutzgesetz vereinbar sei, vor allem weil es keine wirtschaftlich umsetzbaren Alternativen gäbe.
Ein neueres Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig hat im Juni 2019 das Töten männlicher Küken als grundsätzlich tierschutzwidrig erklärt. Das Kükentöten kann nur noch so lange toleriert werden, bis praxistaugliche Alternativen erhältlich sind, bis beispielsweise „voraussichtlich in Kürze“ Verfahren zur Geschlechterbestimmung im Ei zur Verfügung stehen.

Zur Entwicklung solcher Verfahren hat das BMEL rund 6,5 Millionen Fördermittel zur Verfügung gestellt. Forschergruppen haben im Rahmen der vom BMEL geförderten Projekte zwei Methoden entwickelt, um schon im Ei das Geschlecht der Küken zu bestimmen: Beim sogenannten endokrinologischen Verfahren, wird den Bruteiern nach ca. neun Tagen etwas Flüssigkeit mit embryonalem Harn entzogen. Mithilfe der Flüssigkeitsproben wird in einem anschließenden biotechnologischen Nachweisverfahren zeitnah das Geschlecht ermittelt.
Beim spektroskopischen Verfahren wird nach vier Bruttagen die Eischale mit einem Laserstrahl geöffnet, ein spezieller Lichtstrahl ins Ei-Innere geschickt und anhand des reflektierten Lichtes das Geschlecht bestimmt. Anschließend wird das winzige Loch wieder verschlossen.
Seit November 2018 sind die ersten erzeugten geschlechtsbestimmten Schaleneier regional erhältlich. Für die Optimierung der Verfahren und deren breite Einführung werden weitere staatliche Fördermittel zur Verfügung gestellt.
Diese Alternative zur Kükentötung hat nur einen Makel: Es werden zwar keine Küken mehr getötet, dafür aber die angebrütete Bruteier aussortiert, zerstört und für andere Zwecke als die Lebensmittelgewinnung verwendet.

Eine Reihe von Initiativen zur Legehennenaufzucht verfolgt andere Denkansätze, bei denen die Nutzung der Henne und des Hahnes im Vordergrund stehen; die meisten dieser Initiativen kommen aus der ökologischer Landwirtschaft.

Einer dieser Lösungsansätze ist das Zweinutzungshuhn. Damit sind Hühnerrassen gemeint, die sowohl zur Eier- als auch zur Fleischproduktion geeignet sind. Solche Zweinutzungsrassen kommen allerdings nicht an das Hochleistungsniveau der spezialisierten Züchtungen heran, weder in der Lege- noch in der Mastleistung. Dennoch muss sich auch diese Legehennen- und Masthähnchenhaltung für Landwirte lohnen, um praxistauglich und nachhaltig zu sein. Voraussetzung ist dabei: Ei und Fleisch werden in Bezug zueinander gesetzt und vom ganzheitlich denkenden Verbraucher mit einem Mehrpreis honoriert.

Ein weiterer Ansatz ist die Aufzucht von sogenannten Bruderhähnen (siehe unten). Dabei handelt es sich um die Brüder von Legehennen spezieller Legerassen. Die Hähne werden aufgezogen und gemästet. Ihre Fleischleistung bleibt hinter den Zweinutzungshähnen zurück. Dafür legen die Hennen mehr Eier als die Zweinutzungshennen. Meist sind die Eier solcher Bruderhahninitiativen gekennzeichnet.
Es gibt mehrere regionale und überregionale Initiativen zur Nutzung der „Brüder“ der Legehennen, zur Züchtung von Zweinutzungstieren und zur Markteinführung ihrer Erzeugnisse. Auch solche Lösungsansätze werden nach eigenen Angaben vom BMEL gefördert.


Die ursprünglichen Initiativen

Bruderhahn Initiative Deutschland
Die „Bruderhahn Initiative Deutschland“ (BID) wurde 2012 gegründet und ist die bundesweit bekannteste Initiative dieser Art. Ihr vordringliches Anliegen ist es, kurzfristig die Tötung von männlichen Eintagsküken zu vermeiden, indem die beteiligten landwirtschaftlichen Betriebe die „Brüder“ ihrer Legehennen mit aufziehen und ihr Fleisch vermarkten. Die Bruderhähne werden dabei nach ökologischen Richtlinien aufgezogen. Alle derzeit 35 beteiligten Höfe und Züchter der Initiative sind dem Bioland- oder dem Demeter-Verband angeschlossen.
Um die Mehrkosten der Aufzucht zu decken und die Bruderhahn-Idee dahinter zu vermarkten, wird jedes Ei aus einem Bruderhahn-Betrieb mit einem Preiszuschlag von 4 Cent versehen.
Das Aufziehen der Bruderhähne von Legehuhnrassen wird allerdings vom BID selbst nur als Übergangslösung gesehen. Langfristig arbeitet die Initiative zusammen mit der ökologischen Tierzucht gGmbH an der Lösung einer Züchtung von Zweinutzungstieren, um dauerhaft eine eigenständige, von Konzernen unabhängige Geflügelwirtschaft aufzubauen, deren Leitgedanken nicht Wirtschaftsaspekte sind, sondern Tierwohl und Genuss. Der Produktverkauf ist bundesweit möglich über Naturkostmärkte oder einzelne Bio-Hofläden, aber auch über einige Großhändler, Verarbeitungsbetriebe und Vermarkter.
Logo Bruderhahninititative

Huhn & Hahn-Initiative
Die „Huhn & Hahn“-Initiative beschränkt sich auf Süddeutschland mit Erzeugern aus Baden-Württemberg und Teilen von Bayern.
Mit dem Slogan „Wer Huhn sagt, muss auch Hahn sagen“ kooperieren einige ökologische und konventionelle Eiererzeuger und gründeten gemeinsam mit der Diakonie Ravensburg sowie mit einigen verarbeitenden Betrieben und dem regionalen Handel die Huhn-&-Hahn-Initiative mit dem Ziel, sowohl Hühnern als auch männlichen Küken aus der Legehennenzüchtung ein artgerechtes Leben zu ermöglichen. Auch einige Bio-Landwirte aus Bayern haben sich angeschlossen.
Zur Vermarktung haben sich die Partner der Initiative auf die Zweinutzungs-Rasse „Sandy“ festgelegt. Alle beteiligten Eiererzeuger sollen diese Rasse mittelfristig einführen. Die Farbe der Sandy-Eier ist nicht braun oder weiß, sondern cremefarben, und somit gut zu identifizieren. Pro Ei wird ein Cent Aufschlag berechnet, um das Miteinanderaufziehen von Huhn und Hahn zu finanzieren. Neben Eiern gibt es von den angeschlossenen Metzgereien auch Maultaschen, Würstchen und Hähnchenfleisch im Angebot. Auch große Handelsketten wie Edeka Südwest, REWE und Kaufland sind mit im Boot. Dort wird die mit rotem oder grünem Siegel gekennzeichnete Ware vermarktet. Das rote Zeichen der Initiative steht für konventionelle Freiland-Haltung, das grüne Zeichen für ökologische Tierhaltung.
Logo Huhn und Hahn- Initiative

haehnlein-Initiative
Eine Initiative in Norddeutschland nennt sich „haehnlein“. In dem Erzeugerzusammenschluss „Fürstenhof“ mit derzeit 19 landwirtschaftlichen Betrieben in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern werden alle Brüder von Legehennen aufgezogen, manche dienen als Leithähne in der Hühnerschar mit ein bis zwei Hähnen pro 100 Hühnern. Die anderen männlichen Küken werden gemäß den EU-Bio-Richtlinien als „haenlein“ gemästet. Während konventionelle Masthähnchen im Alter von etwa einem Monat geschlachtet werden, dauert die haenlein-Aufzucht ca. 120 Tage.
haenlein-Eier kosten auch wiederum „ein paar Cent mehr“ und werden überwiegend in Hamburg, Bremen, Hannover und Nordrhein-Westfalen in Handelsketten wie Alnatura, Edeka, REWE, Real und tegut angeboten. In Rheinland-Pfalz sind haehnlein-Eier in einzelnen Supermarkt-Filialen zu finden. haenlein-Eier und haenlein-Fleisch gibt es bundesweit in den denn´s-Märkten.

Ei-Care
„Ei-Care“ nennt sich eine regionale Initiative von fünf Naturland-Betrieben in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, die die Großregion Berlin/Brandenburg versorgen.


Die Tierwohl-Antwort der verschiedenen Einzelhandelsketten:

Spitz und Bube“ ist ein Tierwohl-Projekt der REWE-Gruppe.
Die Partner der Handelskette sind konventionelle Freilandhalter, die 2016 in Begleitung der Hochschule Osnabrück mit einem regionalen Pilotprojekt gestartet hatten. Neben der Mitaufzucht der „Buben“ in der Legehennenzucht, haben sich die konventionellen Landwirte verpflichtet, bei den Legehennen auf Schnabelkürzungen zu verzichten und garantieren eine gentechnikfreie Fütterung.
Aufgrund des Erfolgs wurde das Konzept nicht nur deutschlandweit auf REWE-Märkte übertragen, sondern wurde der Vertrieb auch auf andere Haltungsformen (Bodenhaltung, Bio-Qualität) erweitert. Bei der REWE-Tochter Penny werden Eier aus solchen Betrieben unter der Marke „Herz Bube“ gehandelt

Henne und Hahn“ heißt ein vergleichbares Pilotprojekt mit konventionellen Legehennenhaltern der Bodenhaltung, das Aldi-Süd 2017 zur Aufzucht männlicher Küken gestartet hat. Henne-und-Hahn-Eier sind nur regional in den Aldi-Filialen im Großraum Aachen und Bonn erhältlich. Lidl hat im Großraum Hamburg sowie in Schleswig-Holstein unter der Bezeichnung „Kükenherz“ jeweils regionale Projekte gestartet und „Bruderküken“ heißt die Initiative, die über Alnatura vermarktet wird.

Die Handelskette Edeka unterstützt an ihren jeweiligen Standorten immer bestehende regionale Initiativen, in Süddeutschland kooperiert Edeka mit „Huhn & Hahn“, in Nordrhein-Westfalen sind beispielsweise Eier aus dem Henne & Hahn-Projekt mit im Sortiment.

In Anbetracht der Vielzahl von regionalen bzw. lokalen Anbietern, die im eigenen Betrieb oder in Kooperation mit regionalen Partnern die Bruderhahn-Idee vertreten, kann hier kein vollständiger Überblick abgebildet werden.


Fazit
Im Sinne einer tierwohlorientierten Geflügelhaltung sollte die Verantwortung entlang der gesamten Wertschöpfungskette mitgetragen und ein ganzheitliches Bewusstsein entwickelt werden. Die Legehennenhalter und Mastbetriebe, die die Aufzucht der männlichen Legehennen-Geschwister durchführen, benötigen kooperierende weiterverarbeitende Betriebe und diese wiederum brauchen den Handel, Großküchenbetreiber und Endverbraucher, die dies beim Kauf von Eiern und Geflügelfleisch honorieren.
Durch ein entsprechendes Aufpreissystem beim Ei können auch eine ansonsten ineffektive Hähnchenaufzucht finanziert und auch ethische Aspekte in der Landwirtschaft ökonomisch tragfähig werden.
Entsprechende Initiativen und Projekte gibt es in der ökologischen und auch in der konventionellen Landwirtschaft in allen Haltungsformen. Somit findet der Verbraucher bald bundesweit eine entsprechende Auswahl und ist dann auch am Zug.


Quellenangaben und weiterführende Informationen


Annette.Conrad@dlr.rlp.de     www.fze.rlp.de/ernaehrungsberatung